„Die Bewunderung für Wildtiere zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Sie findet ihren Ausdruck in beeindruckenden Höhlenmalereien, zahllosen Gemälden und Skulpturen. In der heutigen Zeit geraten unsere wilden Nachbarn jedoch immer mehr aus unserem Blickfeld. Einer der wichtigsten Begleiter für unsere Großeltern am Berg war das Fernglas. Dessen Platz nehmen heute Action Kamera und Smartphone ein und der Drang zur Selbstdarstellung verwäscht unseren entdeckerischen Geist.
Motiviert durch ein von unvergesslichen Erlebnissen beflügeltes Bauchgefühl nehmen wir gerne Strapazen und Risiken in Kauf, um einen Gipfel zu erklimmen. Schleichend wird dieser innere Antrieb durch externe Motivatoren wie Apps und Social Media ersetzt. Dabei sind wir oft so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass der Lebensraum in dem wir uns bewegen immer mehr in den Hintergrund rückt. Wir verlieren das Auge für die Schätze, die dort verborgen sind und fangen an zu glauben, wir seien die extremsten Akrobaten, die je ihren Fuß in diese schroffe Landschaft gesetzt haben.
Es wird uns aber auch nicht leicht gemacht! Durch staatlich angeordnete hohe Abschusszahlen, wildfreie Zonen und kurze Schonzeiten wird vielerorts dem unnatürlich kleinen Restwildbestand ein von Angst geprägtes nachtaktives Leben aufgezwungen. Gerade die erlebbare Faszination für die Natur inspiriert uns, diese zu erhalten – doch wie soll sich ein Kind für Wildtiere begeistern, die erst zu seiner Schlafenszeit aktiv werden?
Den alpinen Artenreichtum mit all seinen komplexen Geflechten aus Koexistenzen verschiedenster Pflanzen- und Tierarten haben wir vor allem auch den großen Säugern zu verdanken. Reh, Gams, Hirsch und Steinbock prägen seit jeher den Lebensraum zwischen Bergtälern und verblasenen Gipfeln. Gleichermaßen nehmen wir Menschen durch unser Handeln erheblichen Einfluss auf das Leben dieser Ureinwohner der Alpen.
Im 19 Jh. war z.B. der Steinhirsch im Großteil des Alpenraums nahezu ausgerottet. Bis Ende des 20. Jh. konnten sich die Bestände wieder so weit erholen, dass eine zeitweise zu hohe Wilddichte die natürliche alpine Flora und den Nutzwald beeinträchtigte. Auf Grund dessen als Schädlinge abgestempelt wurden die Populationen mittlerweile derart dezimiert, dass sie in beinaher oder kompletter Isolation leben. In unserer Heimat Oberbayern ist es insbesondere auch um die Gams nicht viel besser bestellt.
Der Weg zu einem zukunftsfähigen, gesunden und klimastabilen Wald muss daher unter Berücksichtigung aller Fassetten eines Lebensraums beschritten werden. Ansonsten werden dabei nur etliche weitere Arten auf der Strecke bleiben. Wenn jeder von uns seine Beweggründe und Praktiken hinterfragt und den individuellen Nutzen etwas aus dem Vordergrund rückt, dann werden unsere Hausberge schon bald wieder zu einem artenreichen Naturerlebnis für alle Sinne.
Mit meinen Fotografien möchte ich die wilden Bewohner der Alpen wieder in unser Bewusstsein und wie eine Art „Höhlenmaler“ der Moderne, zurück in unsere Wohnungen, sprich unseren Alltag bringen. Ermöglicht werden diese Aufnahmen nicht nur durch engagierte Wildschutzbeauftragte, die sich mit Umsicht für die Artenvielfalt in einem Lebensraum einsetzen, der von vielen Seiten unter Druck steht. Vor allem auch durch meine Lebensgefährtin, die dem Wort „Verständnis“ eine ganz neue Bedeutung gibt. Für die Familie eines modernen „Höhlenmalers“ am Berg ist der Alltag stets mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Wenn die dabei entstandenen Motive meine Mitmenschen dazu inspirieren, den Lebensraum dieser wilden Alpinisten besser kennen zu lernen, haben sich all die Hingabe, die Opfer und Strapazen mehr als nur gelohnt.“
Robyn Hochrein, Wildtierfotograf